Den Fehler dürfen wir nie wieder machen

Den Fehler dürfen wir nie wieder machen

Münsterländische Tageszeitung | Samstag, 14. November 2020 | Von Hubert Kreke

Im ersten Lockdown starben Menschen ohne ihre engsten Angehörigen / Jetzt bemühen sich alle um Begleitung

Der Besuch schwerstkranker Menschen in Heimen und Hospitälern ist erneut stark eingeschränkt worden. Aber Ausnahmen sind inzwischen besser geregelt. „Wir haben heute mehr Erfahrungswerte“, sagt Trauerbegleiterin Rita Breuer aus Cloppenburg.

Kreis Cloppenburg. Dieser Horror wirkt nach: Im ersten Corona-Lockdown haben Krankenhäuser und Altenheime vereinzelt besorgten Töchtern und Söhnen den Zutritt zu ihren sterbenden Eltern verwehrt – aus Angst, das Virus einzuschleppen. „Viele konnten keinen Abschied nehmen“, sagt die Trauerbegleiterin Rita Breuer aus Cloppenburg: „Das war ein großer Fehler. Das dürfen wir nie wieder machen.“ Obwohl ihnen keine Wahl blieb, leiden die betroffenen Angehörigen noch heute unter Schuldgefühlen, ihre engsten Verwandten im Stich gelassen zu haben, berichtet die ehrenamtliche Mitarbeiterin des ambulanten Hospizdienstes für den Landkreis Cloppenburg.

Trotz Pandemie ist keine einzige Betreuung abgebrochen worden

Inzwischen haben alle dazugelernt. „Damals herrschte große Unsicherheit, heute haben wir Erfahrungswerte“, sagt Breuer, die sich in Einzeltreffen um die Angehörigen kümmert. Im „Lockdown light“ erhalten die geschulten Begleiterinnen des ambuanten Dienstes ungehindert Zutritt zu schwersterkrankten oder sterbenden Menschen, wenn die Angehörigen dieswünschen,weil sie weit weg leben oder in Vollzeit arbeiten.

Koordinatorin Hildegard Meyer berichtet von einer aufwändigen, aber auch lohneswerten Zusammenarbeit mit den Heimleitungen, den Pflegekräften und den Ärzten. Wichtig sei die enge Absprache in jedem einzelnen Fall , betont die hauptamtliche Kraft: „Ich habe noch nie so viel telefoniert wie in dieser Zeit.“

Die Hauptlast tragen nach wie vor die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. „Auch sie haben alte oder kranke Angehörige, die sie schützen wollen“, erklärt Meyer. Dennoch: Keine einzige sagte ab. Alle Schwerstkranken, die vor dem Lockdown betreut worden sind, erhalten weiter Besuche von „ihrer“ vertrauten Begleiterin. „Da habe ich wieder gemerkt, was für ein tolles Team wir sind“, sagt Hildegard Meyer. Zugleich achtet der Hospizdienst auf den Selbstschutz. FFP2-Maske und Handschuhe sind Pflicht bei jedem Besuch. Als Meyer zum ersten Mal in den Schutzkittel schlüpfte, weil in dem betroffenen Wohnbereich das Virus ausgebrochen war, fühlte sie sich „wie ein Außerirdischer“.

Dennoch berichten alle Begleiterinnen, dass es trotzdem gelingt,einen persönlichen Kontakt, manch mal ohne Worte, aufzubauen und zu halten. So lange die betreuten Menschen nicht selbst an Covid-19 erkrankt sind, sind auch Berührungen erlaubt. Vor allem demente Patienten, die oft sehr unruhig sind, „brauchen eine Hand“, sagt Meyer.

„Uns ist wichtig, dass keiner auf dem letzten Weg allein bleibt“

Was möglich ist, „klären wir im Gespräch“, sagt Matthias Hermeling, Stiftungsvorstand des Altenheims St.-Pius-Stift in Cloppenburg. „Uns ist ganz wichtig, dass keiner allein bleibt auf seinem letzten Weg“, betont der gebürtige Friesoyther. Sobald ein Arzt die Palliativ-Versorgung attestiert hat, „öffnen wir die Türen“. Das war auch im ersten Lockdwon schon geregelt.

Ein Drahtseilakt bleibt allerdings die Betreuung an Covid-19-erkrankter Menschen im Heim. In der Redaktion haben sich zwei Angehörige gemeldet, die ihre Frau oder ihre Mutter wegen einer nachgewiesenen Infektion nicht mehr besuchen dürfen. Das ist schwer zu ertragen. Heinrich G. aus Cloppenburg kann mit seiner dementen Mutter zwar noch telefnoieren, aber „sie versteht nicht mehr, was passiert und spricht immer von einer Grippe, die sie hat.“

Gerd M. (82) ist beinahe froh, dass seine Frau, die mit dem Virus infiziert ist, ihn schon seit Jahren nicht mehr erkennt. „So fehle ich ihr wenigstens nicht“, sagt er. Trotzdem macht sich der Ehemann große Sorgen, dass sich der Zustand seiner Frau lebensbedrohlich verschlechtern und er es zu spät erfahren könnte. Erst wenn der „Sterbeprozess“, so der offizielle Sprachgebrauch, absehbar ist, würde sein Besuch trotz der Infektionsgefahr auf jeden Fall gestattet.

Auch Angehörigen in einer Notlage geben Beraterinnen Auskunft

Weil diese Einschätzung nicht nur für medizinische Laien schwer nachvollziehbar und womöglich noch schwerer erträglich ist, bietet der ambulante Hospizdienst auch in dieser Situation seinen Rat an.

Autor: Hubert Kreke